Altern in Würde – Geschichten aus dem Cafe Steiner

Martin, der als Kellner im Cafe Steiner kaum mehr wegzudenken wäre, hat stets gerne ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte seiner Mitmenschen. Dies trägt wohl auch dazu bei, dass sich das kleine Wiener Kaffeehaus unter seinen Stammgästen einer stetigen Beliebtheit erfreuen kann.

An einem Abend kurz vor Weihnachten war es Martin offensichtlich ein Anliegen gewesen sich über einige persönliche Aspekte aussprechen zu können. Seine Mutter hätte mittlerweile das 83. Lebensjahr überschritten und würde alleine in einer Mietwohnung im 12. Bezirk leben. Der Vater wäre vor einigen Jahren verstorben und seiner Mutter sei es stets wichtig gewesen ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dieser Sichtweise stehe er, so versicherte uns Martin, durchwegs positiv gegenüber, doch mache er sich zunehmend Sorgen wegen des schlechter werdenden Gesundheitszustand der Mutter.

Wir mögen uns wünschen ein hohes Alter zu erreichen, doch kann die Erfüllung leider auch mit weniger schönen Umständen verbunden sein. Der Nobelpreisträger Alexis Carrel wollte dies mit seinem Zitat – „Es kommt nicht darauf an, dem Leben mehr Jahre zu geben, sondern den Jahren mehr Leben“ – aus meiner Sicht auf den Punkt bringen. Auch selbst wurde ich im familiären Umfeld schon mit der Frage konfrontiert, wie den Angehörigen ein würdiger Lebensabend ermöglicht werden kann. Das „Leben um jeden Preis“ ist ein menschlich nachvollziehbares Begehren, doch sollte der dafür in Kauf genommene Preis nicht gänzlich außer Acht gelassen werden. Wenn ich mit den vorangegangenen Zeilen einzelne Leser verstört haben sollte tut es mir leid – dies lag bestimmt nicht in meiner Absicht.

Aber wollen wir uns wieder der Geschichte rund um Martins Mutter zuwenden. Nebst der eingeschränkten Mobilität sehe es der Sohn mit Sorge, dass sich die Mutter in den letzten Jahren zunehmend von der Außenwelt zurückgezogen hätte. „Das soll aber bestimmt kein Vorwurf sein“, versicherte Martin, da auch berücksichtigt werden müsse dass viele gleichaltrige Bekannte heute nicht mehr leben würden. Er hätte ihr vor kurzem den Vorschlag unterbreitet regelmäßig ein Tageszentrum für ältere Menschen oder einen Seniorenstammtisch zu besuchen. Die Angebote sind vielfältig und wurden dahingehend ausgebaut, dass auch die Anreise über einen Fahrtendienst erfolgen kann. Die Mutter hatte aber nach einem „Schnuppertag“ keinerlei Gefallen daran gefunden. „Eh klar, dort sieht sie halt auch nur alte Menschen“, warf ein Stammgast ein. Dieser Einwand mag zwar nicht von der Hand zu weisen sein, doch vermute ich im Falle von Martins Mutter vielmehr eine Scheu vor der fremden Gesellschaft und zugleich die vertiefte Sichtweise, dass eine solche Maßnahme für sie keinen erkennbaren Nutzen haben würde. Ein kleinwenig kann ich diese Gedanken sogar nachvollziehen – es sollte aber dennoch darauf geachtet werden, dass sich daraus keine Spirale der Vereinsamung entwickelt …

„Unsere Familie war halt nie wirklich groß“, ergänzte Martin. Das Schicksal hätte seinen Teil dazu beigetragen, dass eine familiäre Verbindung nur mehr zwischen der Mutter, ihm und seiner Gattin bestünde. Die beiden würden der Mutter zwar so gut es ginge unter die Arme greifen, doch versuche diese ohnehin ein zuviel an Unterstützung abzuwehren. „Wie kannst du einem Menschen einfühlsam klar machen, dass er Hilfestellung zulassen sollte?“, lautete die Frage, welche Martin sichtlich beschäftigte.

Er hätte sich in Anbetracht des hohen Alters und der gesundheitlichen Einschränkungen schon über Angebote einer Pflegekraft informiert. Es ließe sich relativ einfach organisieren, dass mehrmals wöchentlich eine Heimhilfe oder mobile Hauskrankenpflege vorbekommt und entsprechende Unterstützung bietet. Die Mutter würde dies aber wohl so interpretieren, dass sich ihr Sohn und die Schwiegertochter aus der Verantwortung stehlen wollten und lehnt diese Maßnahmen – ebenso wie den Besuch im Tageszentrum – ab. „Ich möchte doch gerne für meine Mutter da sein. Aber Sigrid und ich sind berufstätig und können einfach nicht jeden Tag bei ihr sein“, versuchte Martin sein persönliches Dilemma darzustellen.

„Und hast du dir auch schon angeschaut, was so etwas kosten würde?“, wollte Stammgast Jürgen wissen. „Ja, natürlich. Aber ich bin davon überzeugt, dass es daran nicht scheitern sollte“, antwortete Martin. Die verschiedenen Angebote für Senioren werden von der Stadt gefördert und der selbst zu leistende Kostenbeitrag orientiert sich in erster Linie am eigenen Einkommen. Die soziale Staffelung würde es ermöglichen, dass sämtliche Leistungen auch bei einer Mindestpension in Anspruch genommen werden können.

Die Mutter hätte durchaus schon eingeworfen, dass sie kein „unnötiges Geld“ ausgeben wolle. Diesen Einwand könne und wolle Martin nicht verstehen, da sie nebst einer durchschnittlichen Pension auch mittlerweile das Pflegegeld der Stufe 2 beziehen würde. „Das Pflegegeld ist doch schließlich dazu da um eine Hilfestellung in Anspruch nehmen zu können“, argumentierte Martin bestimmt nicht zu unrecht. Und nach seinen Recherchen würde die angedachte Unterstützung in diesem Fall wohl nicht mehr kosten als das Pflegegeld ausmacht.

Ich befürchte, dass Martins Mutter die Inanspruchnahme einer Pflegekraft insgeheim als Einschnitt ihrer Selbstbestimmung interpretiert – auch wenn dies so bestimmt nicht zutreffen sollte. Aus eigenen Erfahrungen weiß ich, dass es praktisch so gut wie nicht möglich ist einen Pflegedienst gegen den Willen des Betroffenen zu veranlassen. Hoffentlich wird es Martin noch gelingen seine Mutter durch gutes Zureden umzustimmen. Mit kleinen Schritten sollte vieles möglich sein …

Pedro

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