In den letzten Jahren habe ich einige Infoveranstaltungen besucht, welche sich mit den verschiedenartigen Aspekten eines Hirntumor beschäftigten. Die Vorträge von Ärzten und Wissenschaftern können dabei helfen eine angemessene Selbstverantwortung zu leben. Darüber hinaus steht auch der Austausch von Erfahrungen und Gedanken zwischen Betroffenen im Mittelpunkt. Es war im Frühjahr 2015, als ich an einer solchen Veranstaltung in einem Hörsaal der Universität Würzburg teilnahm. Den Abend ließen wir dann gemütlich in einem italienischen Restaurant ausklingen. Die Runde hatte sich aus Betroffenen und deren Angehörigen zusammengesetzt, die zum überwiegenden Teil aus den verschiedensten Regionen Deutschlands angereist waren.
Ich kann mich an einen angenehmen Austausch mit Rainer erinnern, der in Berlin lebt und den ich schon bei einer vorangegangenen Veranstaltung kennengelernt hatte. Es war bestimmt so, dass wir uns am Abend vorrangig über so manche persönliche Aspekte unterhalten wollten. Und da ich in der kleinen Runde der einzige Österreicher war, kamen wir allmählich auch auf meine Heimatstadt Wien zu sprechen. Rainer erzählte mir, dass er vor einigen Jahren eine Städtereise nach Wien unternommen hätte und erwähnte am Rande, dass ihm dabei doch „zuviel Prunk“ ins Auge gestochen wäre. Diese Aussage stellt eine subjektive Sichtweise dar und war bestimmt nicht böse gemeint, hat mich aber doch ein wenig beschäftigt und letztlich dazu veranlaßt heute einige Zeilen niederzuschreiben.
Die Städtereisen haben in der letzten Zeit einen immer größeren Stellenwert erobern können. Die Reiseveranstalter bieten verschiedenste Pauschalangebot, über welche die internationalen Regionen und Hauptstädte unter die Lupe genommen werden können. Es sollte uns aber bewußt sein, dass wir bei einem kurzen Aufenthalt in einer größeren Stadt bestenfalls oberflächliche und zumeist auch touristisch geprägte Eindrücke gewinnen können. Das liegt einfach in der Natur der Sache …
Wenn ich Bekannte zu Besuch hätte, die zum ersten mal in Wien wären, würde ich diesen wahrscheinlich auch den Stephansdom, die Hofburg und das Schloß Schönbrunn nicht vorenthalten. Das ist doch purer Prunk – und das will ich gar nicht in Abrede stellen. So ähnlich dürfte es eben auch Rainer ergangen sein, der damals mit einer Reisegruppe unterwegs war. Ein Gesamtbild von einer Stadt wie Wien zu vermitteln braucht entsprechende Zeit und sollte möglichst auf das individuelle Interesse der Besucher abgestimmt sein.
Den Trend zu kulturell geprägten Städtereisen sehe ich durchaus positiv und könnte einer solchen auch durchaus einiges abgewinnen. Ich muß aber eingestehen, dass ich – für mich selbst – einer Reisegruppe aus verschiedensten Gründen etwas skeptisch gegenüberstehe. Das individuelle Erforschen einer Stadt würde mir zweifellos einen ganz besonderen Reiz vermitteln. Natürlich erfordert dies aber wohl auch eine besonders gründliche Vorbereitung über die örtlichen Gegebenheiten oder im Idealfall die Unterstützung durch Ortskundige.
Wien ist mit derzeit 1,8 Millionen Bewohnern lt. de.wikipedia.org die zwölftgrößte Stadt Europas. Berlin hat knapp doppelt soviel Einwohner und liegt am fünften Platz – ist aber auch die Hauptstadt eines Landes mit beinahe zehnmal so vielen Bewohnern. In Relation zur Einwohnerzahl des Landes gerechnet wäre Wien sogar die größte Hauptstadt Europas. Dies ist zu einem guten Teil auch auf historische Umstände zurückzuführen, wobei ich an dieser Stelle auf einen geschichtlichen Exkurs verzichten werde.
Der „Duden“ versucht die Bedeutung des Substantiv Prunk durchaus zielführend mit „auf Wirkung bedachte, als übermäßig empfundene Pracht“ zu erklären. Bestimmt nicht umsonst trägt der barocke Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, der zu den schönsten Bibliotheken der Welt zählt, diesen Namen. Kürzlich kam ich bei einem ausgiebigen Spaziergang durch die Stadt an der Hofburg vorbei und konnte ungewollt eine Unterhaltung mitverfolgen. „Es ist unglaublich was damals gebaut werden konnte und es ist doch beschämend, dass wir das heute nicht mehr schaffen würden.“, staunte die junge Dame. Diese Aussage ist nicht überraschend und viele Menschen würden dem wohl auch beipflichten. Aber ist es deshalb wirklich so?
Natürlich beherbergt Wien zahlreiche Baujuwelen und ich flaniere selbst gerne durch die Altstadt. Das Staunen erfaßt uns nicht nur bei der Wiener Hofburg, sondern auch bei vielen anderen imperialen Bauwerken, die jeweils den Status und die Macht eines Staates, einer Organisation oder im besonderen auch einer herrschenden Elite demonstrieren sollten. Von den heute zur Verfügung stehenden Bautechniken war damals nicht zu träumen, aber die Arbeitskraft war schlichtweg billigst. Diese Bedingungen schufen die besten Voraussetzungen dafür, dass solche Prachtbauten umgesetzt werden konnten. In derselben Zeit lebten die Nichtbesitzenden, also jene die aus keinem „guten Haus“ abstammten, in alles andere als prunkvollen Ambiente. Wir vergessen leider oftmals auf welcher Kosten der damalige sogenannte Prunk ging.
Es stellt sich für mich nicht die Frage, ob wir heute eine Hofburg erbauen könnten. Jede Epoche hat ihre kulturellen, architektonischen sowie besonders auch gesellschaftspolitischen Hintergründe und ich bekenne mich durchaus zu sozial adäquaten Zweckbauten. Dies darf keinesfalls als Abkehr von einem kulturell erfüllten Leben verstanden werden, welches heute den Menschen aber weitaus einfacher ermöglicht wird als früher. Ich weiß natürlich, dass einzelne Gesellschaftsschichten von diesem Angebot dennoch keinen Gebrauch machen werden und bin darüber auch nicht glücklich – doch bringt es auch nichts die Vergangenheit zu verklären.
Pedro