Am 16. Juli 1995 verunglückte mein Bruder Robert beim Sporttauchen in Kroatien. Diese Zeilen sollen ihm in stillen Gedenken gewidmet sein …
Als ich am heutigen Vormittag das große Eingangstor des Zentralfriedhof in Wien durchschritt überkamen mich vielschichtige Gefühle. Auch wenn es schon unglaubliche zwanzig Jahre zurückliegt sind meine Erinnerungen an die Sommertage des Jahres 1995 sehr detailreich erhalten geblieben. Beinahe so, als ob es gestern gewesen wäre – nur dass nichts mehr so ist, wie es gestern war …
Es ist mir nie leicht gefallen persönliche Gefühle verständlich zum Ausdruck zu bringen, weshalb meine nachfolgenden Zeilen auch etwas seltsam anmuten könnten. Unsere Mama konnte den Tod von Robert lange Zeit nicht überwinden und besuchte in den ersten Jahren mehrmals wöchentlich sein Grab. Kurz nachdem sie einen mutigen neuen Lebensabschnitt beginnen wollte starb sie Anfang 2008 im 69. Lebensjahr an Krebs. Über geraume Zeit hinweg besuchte ich mehrmals im Jahr zusammen mit Mischa den Friedhof und wir zündeten an Roberts Grab eine Kerze an. Mischa, mit dem mich eine langjährige Freundschaft verband, starb im Sommer 2007 an einer schweren Krankheit. Unserer Oma konnte ich bis vor kurzem noch aktuelle Fotos vom Grab zeigen und wir unterhielten uns gerne und intensiv über vergangene Zeiten. Sie starb im Herbst 2014 im 100. Lebensjahr. Unser Vater steht im 85. Lebensjahr und ist gesundheitlich schwer angeschlagen.
Es gibt in meinem Umfeld eigentlich niemanden mehr, mit dem ich mich über das Leben meines Bruders austauschen könnte. Natürlich wären da manche seiner Freunde, mit denen ich aber schon längere Zeit keinen Kontakt mehr habe. Darüberhinaus stellt sich für mich im Sinne der Vergänglichkeit die Frage, wieviel in den Erinnerungen der Menschen nach zwanzig Jahren noch vorhanden sein mag. Ich kann es nicht sagen, ob die Grabstätte heute noch von anderen Menschen besucht wird. Dass Verwandte das Grab aufsuchen muß ich ausschließen, da sich die Familie – so hart das auch klingen mag – praktisch aufgelöst hat. Um nicht mißverstanden zu werden ist es mir wichtig zu erwähnen, dass ich seinen Freunden keinesfalls unterstellen möchte, dass sie nicht mehr an ihm denken. Aber das tut jeder auf seine persönliche Art und Weise und das ist auch gut und richtig so.
Robert wurde am 23. April 1964 geboren und war um etwas mehr als sieben Jahre älter als ich. Dass ich heute einen Bruder im 52. Lebensjahr haben könnte ist kaum vorstellbar und hat mich schon vor einiger Zeit dazu inspiriert meine persönlichen Gedanken in dem Beitrag labut.at – „23. April“ niederzuschreiben. In meinen Erinnerungen ist Robert noch 31 Jahre alt und mein großer Bruder. Besonders in seinen letzten Lebensjahren waren wir uns noch sehr nahe gekommen, wenngleich ich heute anzweifeln muss dass ich ihm stets ausreichend zur Seite gestanden bin. Ich traue mir aber zu sagen, dass er mein Leben geprägt hat wie niemand anderer und ich viel von ihm lernen durfte.
Wollen wir noch eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit unternehmen. Robert absolvierte die HTL für Maschinenbau und begann nach dem Präsenzdienst ein Studium der Architektur. Mit wahrscheinlich zu großem Idealismus – man könnte es auch Leidenschaft nennen – war er an einzelnen Unternehmen beteiligt, wobei er zu wenig Augenmerk auf seinen persönlichen Bedarf einforderte. Die Konsequenzen bestanden unter anderem darin, dass seine Gattin die Scheidung verlangte und er zeitweise wohnungslos war. Robert ließ sich die Probleme in seinem Leben nicht wirklich anmerken und das Umfeld, wobei ich mich selbst leider nicht ausnehmen darf, wollte manche Dinge einfach nicht wahrhaben.
Robert hatte den Tauchkurs zum 30. Geburtstag geschenkt bekommen und die Ausbildung in einem Hallenbad und am Neufelder See absolviert. Beim zweiten Kurzurlaub mit Freunden in Kroatien verunglückte Robert tödlich. Am 1. August wurde er im Familiengrab unter großer Anteilnahme beigesetzt.
Weitere Informationen zu dem intensiven, aber leider nur allzu kurzem Leben meines Bruders findet ihr unter robert.labut.at.