Wenige Tage vor dem Jahreswechsel konnte ich im Cafe Steiner eine recht ungewöhnliche Diskussion mitverfolgen, von der ich euch heute erzählen möchte. Es war ein Samstag Abend als ich das „Steiner“ betrat und an der Schank Platz nahm – das Lokal war verhältnismäßig gut besucht. Ich bestellte wie zumeist ein großes Bier und hatte eigentlich gar nicht mal vorgehabt allzu lange zu bleiben.
„Was soll man da sagen, letztlich hat sie ihren Frieden gefunden“, hörte ich Kellner Martin in die Runde verkünden. In weiterer Folge sollte ich erfahren, dass Frau Schwarz – ein langjähriger Stammgast – zwei Tag vor Weihnachten verstorben war. Hermine Schwarz, eine rüstige Pensionistin, war gerne an den Nachmittagen in das Cafe Steiner gekommen, wo sie sich unter den vertrauten Gesichtern wohl gefühlt hatte und von diesen aufgrund ihrer aufgeschlossenen Art gleichermaßen geschätzt wurde. Selbst hatte ich nur wenig Kontakt mit ihr gehabt, was wohl auch daran lag dass sie selten zu denselben Zeiten wie ich im Lokal gewesen war. Die Gäste, welche sie besser gekannt hatten, tauschten sich aber sehr angeregt über die Verstorbene aus.
Frau Schwarz war schon längere Zeit wegen eines Herzleiden in Behandlung gewesen und es dürfte vermutlich auch ein Zusammenhang mit ihrem Ableben im 82. Lebensjahr bestanden haben. Ich konnte mitverfolgen, dass einzelne Stammgäste bereits beschlossen hatten bei der bevorstehenden Trauerfeier am Zentralfriedhof Abschied nehmen zu wollen. So tragisch jeder einzelne Todesfall auch ist, so wenig soll er der eigentliche Inhalt meiner heutigen fiktiven Geschichte aus dem Cafe Steiner sein.
Es war eine möglicherweise flüchtige Aussage von Martin, die den weiteren Verlauf des Abends nicht unwesentlich bestimmen sollte. „Ich bin davon überzeugt, dass sie nun wieder mit ihrer Familie zusammen ist und das ist doch trotz alledem irgendwie schön“. Man muß dazu sagen, dass Hermi – wie sie von den Gästen genannt wurde – schon lange Zeit verwitwet war und ihr einziger Sohn vor wenigen Jahren einem Krebsleiden erlegen war. Allzu viele Verwandte waren aufgrund unglücklicher Umstände nicht mehr geblieben – doch war sie aus meiner Sicht ein lebensfroher Mensch geblieben, der immer versucht hatte den notwendigen Optimismus zu bewahren.
„Ach so, du glaubst also die Hermi sitzt jetzt mit ihrer Familie auf einem Wolkerl da oben und schaut auf uns runter“, war der erste doch ziemlich plumpe Konter eines Gastes. Ich glaube, dass Martin mit der Offenbarung seiner Gedanken keinesfalls eine Diskussion anregen wollte. Das war nun aber geschehen, denn auch andere Stammgäste zeigten sich angetan ihre Sichtweisen vorzubringen. Selbst hielt ich mich weitgehend zurück, wenngleich ich den Gesprächsverlauf durchwegs verfolgte um mir Einblicke in die Gedankenwelten der anderen verschaffen zu können.
Ich kann euch schon sagen warum ich mich in dieses Gespräch selbst nicht einbringen wollte. Nicht weil ich keine Meinung dazu habe oder mich nicht traute diese zu vertreten. Es war gar nicht mal das zweifellos sensible Thema selbst, sondern vielmehr die Art der Abhandlung sowie die fehlende Toleranz gegenüber Andersdenkenden, die mich störte. Was soll ich mit einer Aussage anfangen, dass der vor dreißig Jahren verstorbene Gatte von Frau Schwarz nun keine Freude mit seiner gealterten Gattin hätte. Es sollte doch ganz klar sein, daß – für den Fall dass es „etwas“ nach dem Tod geben sollte – wir hier von Geist und Seele und keinesfalls dem Körper sprechen.
Die Aussage von Martin zu einer möglichen Wiedervereinigung der Familie Schwarz war eigentlich gar nicht mal so ungewöhnlich – ich weiß aus persönlicher Erfahrung, dass nicht wenige Menschen ähnlich denken und sich dadurch vielleicht selbst Trost zusprechen. Eine solche Ansicht muß auch nicht unbedingt aus religiösen Motiven – denen ich relativ fern stehe – begründet sein. Es ist eine Tatsache, dass sich diese These keinesfalls beweisen läßt und ich bleibe ihr gegenüber auch äußerst skeptisch. Damit will ich aber keinesfalls jene Menschen verletzen, die aus einer inneren Überzeugung heraus daran glauben wollen. Ich denke, dass es in diesem Universum viele Dinge gibt welche wir Menschen – trotz allem technischen Fortschritt – nie verstehen können …
Pedro