Unsere Vergänglichkeit wird von manchen Menschen als Tabu-Thema betrachtet. In den nachfolgenden Zeilen möchte ich meine Sichtweise beleuchten …
Ich respektiere selbstverständlich die Gefühle meiner Mitmenschen und bringe dieses Thema deswegen auch selten bis gar nicht zur Sprache. Als problematisch empfinde ich aber meinen nach außen gezeigten doch sehr nüchternen Umgang mit dem Tod, was dann wieder ein falsches Bild von meinem Denken und Empfinden vermitteln kann.
Um diese zweifellos sehr persönlichen Aspekte verdeutlichen zu können möchte ich eine kleine Zeitreise durch mein Leben unternehmen …
Die eigene Krankengeschichte
Im Alter von 14 Jahren erkrankte ich an akuter lymphoblastischer Leukämie, welche durch Chemotherapie und prophylaktische Ganzschädelbestrahlung geheilt werden konnte. Ich kann nicht sagen, wiesehr ich meine kritische Situation damals realisiert und hinterfragt habe – ich hege durchaus die Befürchtung alles stets verdrängt und in mich hineingefressen zu haben. Auch wenn es mir nicht verborgen blieb, dass einzelne Kinder im Krankenhaus ihren Kampf gegen den Krebs verloren hatten weiß ich dass ich mich damals praktisch nie mit anderen Menschen darüber ausgesprochen habe. Auch eine psychoonkologische Unterstützung war nach einem einmaligen Gespräch mit einer Psychologin offenbar als nicht notwendig empfunden worden.
Im Jahr 2008 wurde der Hirntumor diagnostiziert und konnte bislang durch zwei OP’s und Bestrahlungen in Schach gehalten werden, wobei eine vollständige operative Entfernung nicht möglich ist. Es wird darauf gesetzt ein neuerliches Wachstum zu verzögern und falls notwendig eine Behandlung einzuleiten. Aus meiner Sicht wurden die Grenzen des medizinisch Machbaren aber schon relativ weit ausgelotet. Es ist nicht spurlos an mir vorübergangen, dass sich im Dezember 2013 unschöne Turbulenzen bei der Entscheidungsfindung zum weiteren Therapieverlauf gezeigt haben und ich bin froh einen Spezialisten gefunden zu haben, bei dem ich seither in Behandlung sein darf. Da ich nach außen hin – bis heute – unbewusst das Bild eines weitgehend funktionsfähigen Zeitgenossen vermittle wird auch meine Gedankenwelt oft falsch eingeschätzt.
In Wahrheit habe ich mich auch mit der Prognose eines atypischen Meningeom beschäftigt und darf sieben Jahre nach der Erstdiagnose mit dem Verlauf zufrieden sein. Es ist mir auch bewusst, dass eine statistische Aussage nicht überinterpretiert werden darf und mit Vorsicht zu genießen ist. Auch wenn ich mich mit dem Umstand arrangiert habe muss ich doch damit leben, dass am Ende des Tages der Tumor mit hoher Wahrscheinlichkeit gewinnen kann. Aber es bleibt die berechtigte Hoffnung, dass dieser Tag noch möglichst lange auf sich warten lässt. Auch in der Selbsthilfegruppe und in manchem Foren, in welchen sich Betroffene austauschen, kann dieser Aspekt immer wieder zum Thema werden und ich denke, dass es wichtig ist sich ihm nicht gänzlich zu verschließen.
Abschied nehmen müssen
Im Juli 1995 verunglückte mein Bruder Robert im 32. Lebensjahr beim Sporttauchen und ich habe meine Gedanken zu seinem 20. Todestag im Mind Blog (siehe labut.at – Robert – Mind Blog) wiederzugeben versucht. Es braucht wohl keine Erwähnung, dass dieser Schicksalsschlag die Familie tief erschüttert hat. Aber dennoch erinnere ich mich noch mit seltsamen Gefühlen daran wie nüchtern und emotionsarm ich mich damals verhalten habe. Einblicke in meine Gefühle konnte ich nicht mal in einer solchen Situation gewähren. Was sagt das über mich aus …?
Im Jänner 2008 starb meine Mutter im 69. Lebensjahr an Krebs – nur kurze Zeit nachdem sie sich für einen mutigen neuen Lebensabschnitt entschieden hatte. Auch wenn die Ärzte von Beginn an wohl kaum Chancen auf eine Heilung sahen ließ man uns lange Zeit im Ungewissen. Die letzten Wochen, die meine Mutter im Siebenbettzimmer eines Wiener Bezirkskrankenhauses verbringen musste kann ich nur zu verdrängen versuchen. Wenngleich auch dieser Schickssalschlag völlig unerwartet eingetreten war konnte ich nach außen keine Emotionen zeigen und vermittelte auf manche Menschen vielleicht ein fragwürdige Bild.
Unsere Oma hatte eine beispiellose Lebenseinstellung, wenngleich ihr vom Schicksal nicht viel erspart blieb. In durchwegs hohem Alter hatte sie nicht nur ihren Enkelsohn und ihre Tochter zu Grabe tragen müssen sondern auch schwerwiegende Krankheiten gemeistert. Erst nach dem 90. Geburtstag war die Mobilität eingeschränkt, doch blieb ihr der klare Geist bis zum letzten Tag erhalten. Seit dem 98. Geburtstag kämpfte sie nach zwei Herzinfarkten immer öfters mit Atemnot. Im Sommer 2014 musste sie im Pensionistenwohnhaus auf die Pflegestation verlegt werden. Ich wäre froh gewesen, wenn ihr dieser Schritt erspart bleiben hätte können. Am 18. September 2014 starb meine Oma im 100. Lebensjahr in einem Wiener Krankenhaus. Sie wäre „friedlich eingeschlafen“, wurde mir von der Krankenschwester versichert.
Mein Vater litt in hohem Alter unter anderem an Morbus Parkinson, einem chronischen Schmerzsyndrom und fortschreitender Demenz. Seine Gattin, mit der ich nie eine vernünftige Basis finden konnte, verwehrte jede professionelle Hilfestellung, wenngleich sie selbst sichtlich mit der Pflege völlig überfordert war. Ich unternahm zahlreiche Anläufe um ihm einen halbwegs angenehmen Lebensabend zu ermöglichen, was mir aber letztlich nicht gelingen sollte. Papa starb am 24. August 2018 in einem Wiener Pflegewohnhaus.
Das „Leben um jeden Preis“ ist aus meiner Sicht eine bestimmt gut gemeinte Aussage, die ich für mich selbst aber doch ziemlich relativiert betrachten möchte.
robert.labut.at – Erinnerungen an unsere Familie
Dieser Beitrag wurde auch unter aspie.labut.at online gestellt.